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Eines Samstagmorgens wollte Jule nicht ins Auto einsteigen um zum morgendlichen Gang aufzubrechen. Das war sehr ungewöhnlich. Spazieren gehen war immer eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. So fuhr mein Mann mit Kaya und Nini los und ich wackelte mit meiner Jule über heimische Felder. Sie ging langsamer als sonst, fraß viel Gras und war sichtlich froh, als es nach einer kurzen Runde wieder nach Hause ging.

Meine Sorgen wuchsen, kurz entschlossen setzte ich sie ins Auto und fuhr zum Tierarzt. Glück gehabt, es war nichts los und wir waren sofort dran. Der Tierarzt untersuchte Jule. Er diagnostizierte eine Mandelentzündung, gab Jule 2 Spritzen, mir ein Antibiotikum für die nächsten Tage und draußen waren wir wieder.

Puh, Mandelentzündung! Das kann ja nicht so schlimm sein. Zwar schmerzhaft, aber heilbar. Nachmittags ging es Jule auch besser und ebenso am Sonntag. Oder war das nur Wunschdenken von uns? Montag nahm ich Jule ganz selbstverständlich auf den großen Gang mit. Nach kurzer Wegstrecke, machte sie mir deutlich, dass sie nicht mehr konnte. Sie wollte gern, aber sie konnte nicht. Mit den ersten Tränen in den Augen, brachte ich mein Julchen nach Hause. Nachmittags wieder zum Tierarzt. Anderes Antibiotikum, jetzt Lungenentzündung, keine Besserung. Dienstag der nächste Tierarztbesuch. Ich versuchte, im Gesicht des Arztes etwas zu lesen. In meinem Bauch wuchs ein Klumpen aus Angst und Sorge. Irgendwie verging der Mittwoch. Jule wollte nicht mehr fressen, also fütterte ich sie. Ich hätte sie noch jahrelang gefüttert, wenn es hätte sein müssen. Abends lag Jule immer neben mir auf der Couch, ließ sich ab und zu den Bauch kraulen und blieb dort, bis ich ins Bett ging. Saß ich am Computer, lag sie unter dem Tisch. Nicht so in den letzten Tagen. Ich forderte sie auf, zu mir auf`s Sofa zu springen. Sie tat es, um nach ein paar Minuten wieder runter zu springen. Ich hatte den Eindruck, dass sie im Liegen mehr Beschwerden hatte. Am meisten stand sie draußen, auch im Nieselregen. Wurde die Erschöpfung übermächtig, legte sie sich. Ins Haus kam sie nur noch auf Aufforderung und dann nur, um bei der nächsten Gelegenheit wieder nach draußen zu gehen. Heute weiß ich, sie konnte draußen besser atmen.

Donnerstagmorgen nahm meine Sorge überhand, als Jule nicht vor meinem Bett lag als der Wecker ging. Wir suchten sie und fanden sie draußen im hinteren Garten. Flach atmend, ihr Brustkorb sah rund aus, anders als sonst. Eine Stunde später saß ich mit ihr im Auto, Richtung Tierklinik. Die haben dort mehr Möglichkeiten, sind mit besserer Technik ausgestattet und können Jule sicherlich helfen, so meine Gedanken.

Nach einer guten Stunde Fahrzeit waren wir da und hatten wieder Glück. Noch nicht viel Betrieb, es war noch früh und nach kurzer Wartezeit waren wir im Untersuchungszimmer. Eine junge, freundliche Ärztin untersuchte Jule. Sie erklärte mir, dass Jules Brustkorb geröngt werden müsse, das ein großes Blutbild gemacht wird usw. Ich hab gedacht, ja ja ja, macht nur… aber helft meinem Julchen.

Als die Ergebnisse da waren, wurden wir wieder aufgerufen. Jules Blutbild ergab keinen auffälligen Befund aber das Röntgenbild der Brust! Die Ärztin redete auf mich ein und sagte, dass Jule dort bleiben müsse. Ab diesem Zeitpunkt funktionierte ich nur noch. Ich verstand von dem, was die Ärztin mir erklärte nur die Hälfte, aber die Worte Krebs und Metastasen bohrten sich unerbittlich in mein Hirn. Noch einmal durfte ich Jule mit nach draußen nehmen, bevor sie abgeholt wurde und ich ohne sie nach Hause fahren musste.

Der Tag hatte nebelig und trüb angefangen. Nun arbeitete sich die Sonne durch die Wolken. Passte nicht. Es sollte wohl ein sonniger Tag werden. Passte nicht. Für den Rückweg zog ich die Landstraße vor, traute mich nicht auf die Autobahn.

Zu Hause war alles unwirklich und anders. Meine Nini lag aufwachend in Narkose. Natürlich hatte ich ausgerechnet an diesem Tag den Termin für die Röntgen-Untersuchung auf HD. Das hatte kurzerhand mein Mann übernommen.

Am Nachmittag schnappte ich mir Kaya, versprach ihr einen langen Spaziergang und wir stiefelten los. Nini war noch torkelig und verblieb in der Obhut meiner Tochter Jil. Typischerweise hatte ich das Handy mal wieder zu Hause liegen lassen, aber die Tierklinik erreichte meinen Mann.

Man hatte Jules Brustkorb punktiert und 2 Liter Flüssigkeit abgelassen. Sie bekäme jetzt viel besser Luft. Die Flüssigkeit sollte untersucht werden, es bestünde eine leise Hoffnung und wir sollten abends nochmal anrufen.

Leises Glücksgefühl legte sich über diesen dicken Klumpen in meinem Bauch. Vielleicht…???

Als am Abend der Arzt, den wir sprechen wollten 21.15 Uhr zurückrief konnte ich nicht ans Telefon gehen. Das tat mein Mann. Seine Reaktionen auf die Worte, die er hörte zerstörten augenblicklich alle Hoffnung. Kurz darauf saßen wir wieder im Auto Richtung Tierklinik um Jule auf ihrem letzten Weg zu helfen. Keinen Augenblick länger als nötig sollte sie leiden und sie sollte auch nicht in dieser fremden Umgebung noch eine Nacht schlafen müssen, allein, ohne uns, ohne mich.

Endlich da. Man öffnete uns die Tür und brachte uns in den Behandlungsraum, den ich schon von morgens kannte. Nochmal erklärte uns der Arzt, welches Ergebnis die Untersuchungen ergeben hätten. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin, es war nicht mehr wichtig. Mein Entschluss stand fest, Blickwechsel mit meinem Mann, er verstand. Ich bat, Jule zu holen.

Und da war sie. Jule freute sich wie doll und verrückt, als sie sah, wer da auf sie wartete. Ihr Schwanz wollte nicht aufhören zu wedeln und abwechselnd leckte sie die Tränen aus unseren Gesichtern. Es ging ihr besser, das sah ich, aber unübersehbar war auch die flache Atmung, deren Ursache wir jetzt kannten.

Der Raum war abgedunkelt, nur vom Bildschirm des PCs erhellt. Blöderweise musste der Arzt noch einen neuen Zugang legen. Das tat er in einer absoluten Ruhe und Freundlichkeit. Jule merkte nichts davon. Mein Mann hatte inzwischen den Raum verlassen, zuviel! Meine Tochter, die mitgekommen war und ich knuddelten und streichelten Jule, die vor uns lag und ein Leckerchen nach dem anderen bekam.

Nach einer Weile suchte der Arzt meinen Blick und fragte, ob er es jetzt tun sollte… Ich nickte. Augenblicklich sank Jules Kopf in meine Hand. Sie schlief… für immer.

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Jule, ein Seelenhund geht

Mein kleiner Mini-Wurf war ausgezogen. Hier kehrte wieder der Alltag ein und während in meinem Kopf Sätze für einen lustigen Bericht über Ninis Schleppleinen-Training entstanden, passierten Dinge, von denen man weiß, sie können passieren, die man aber gerne weit von sich schiebt.

Meine fast 11jährige Jule wurde krank. Zunächst war es nur ein Husten ab und zu. Vor allem, wenn sie aus dem Liegen aufstand, musste sie erstmal husten. Ich beobachtete sie mit leichter Sorge. Der jährliche Tierarzt-Check stand sowieso an. Ich beschloss, einen Termin zu besorgen.

Dazu kam es nicht mehr.

In den folgenden Tagen und Wochen ließ ich immer und immer wieder unsere gemeinsame Zeit durch meinen Kopf laufen, wie einen schönen Film.

Durch Zufall sind wir auf den Wäller gekommen. Ein halbes Jahr haben wir auf den Welpen gewartet. Ich kann mich noch gut an die Abhol-Fahrt erinnern. Jule hat sich übergeben müssen bis nichts mehr rauskam. Die Küchenrolle lag zu Hause, also musste das Stück Laken herhalten, das wir von Claudia als ein Stück Heimatgeruch mitbekommen hatten. Zu Hause konnte ich davon noch ein kleines Stück retten. Aber Jule lebte sich schnell ein, folgte mir auf Schritt und Tritt und war schnell nicht mehr wegzudenken.

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n der Hundeschule stellte sich heraus, dass Jule ein kleiner Rohdiamant war. Sie lernte so schnell und alles mit ihr machte Spaß. In Rekord-Zeit absolvierten wir einen Kurs nach dem anderen und kurz nach ihrem 2. Geburtstag bestanden wir den BHV-Hundeführerschein. Wir lernten gemeinsam so viel.

Kurz nach Jules 1. Geburtstag flogen mein Mann und ich über Weihnachten auf die Kanaren, wie wir es früher „vor dem Hund“ sehr gerne getan haben. Diesmal war alles anders. Jule war gut untergebracht, bei Freunden mit Familienanschluss und Hunde-Kumpeline. Aber sie fehlte mir unglaublich. Nie wieder sind wir ohne sie in Urlaub gefahren.

Wir begannen mit dem Hundesport Agility und das wurde für die kommenden Jahre zu  unserem Steckenpferd. Nie werde ich ihre leuchtenden Augen vergessen, wenn sie die Hindernisse sah und nur darauf wartete, dass ich ihr sagte, was zu tun sei.

Bei allem, was ich mit Jule machte, sei es Obedience, Tricksen, Kreisarbeit und in letzter Zeit Dogdance war sie mit Feuereifer dabei. Dabei war sie nicht der einfachste Hund. Sie war früh erwachsen und zeigte mir, dass sie andere Hunde nicht unbedingt zum glücklich-sein brauchte. Ich lernte mit der Zeit zu verstehen und zu respektieren.

Inzwischen reifte in mir auch der Gedanke der Zucht. Begeistert von meinem Hund und der Idee des Wällers überhaupt gingen wir die Zuchtzulassung an. Die gesundheitlichen Hürden waren schnell genommen und auch die Prüfung stellte uns vor keinerlei Probleme.

Kurz nach Jules 3. Geburtstag, ein Tag vor Heiligabend wurde sie das erste Mal Mutter von 9 Welpen. Eine wunderschöne Zeit begann. Zusammen genossen wir die Welpen und deren Aufzucht. Jule war eine wunderbare, sehr fürsorgliche Mutter und mein Respekt vor ihr wuchs noch mehr an. Aus diesem ersten Wurf sollte ein Welpe bei uns bleiben und so war es auch. Jule hatte fortan Gesellschaft in Form von Grazia-Kaya, ihrer Tochter.

Insgesamt schenkte uns Jule 26 Welpen. Und auch die Welpen ihrer Tochter erzog und pflegte Jule tatkräftig mit. Während dieser Jahre entstand eine besondere Beziehung zwischen Jule und mir. Wir verstanden uns blind, mit leisen Worten, mit Gesten. Ich liebte ihre Anhänglichkeit, ihren Eifer, Ihren Willen immer alles richtig zu machen, einfach sie selbst, wie man einen Hund nur lieben kann.

Natürlich wurde sie langsam älter und ich bemerkte, dass sie längere Ruhepausen brauchte. Aber ich sah auch ihre Würde, ihre Gelassenheit, ihre Zuverlässigkeit, die das Alter mitbrachte und genoss auch das. In meiner Fantasie sah ich mich mit meinem uralten Julchen über Feldwege spazieren, in ihrem Tempo und nur noch dort, wo sie wollte. Ihre Mutter war schließlich 15 Jahre alt geworden. Warum Jule nicht auch? Fantasie ist Fantasie und die Realität ist ganz anders.

Ganz plötzlich und unglaublich schnell musste ich Entscheidungen treffen, die ich mir auch ganz anders vorgestellt hatte. Wenn die Zeit gekommen war, sollte Jule zu Hause in unserem Kreis in Ruhe über die Brücke gehen, am liebsten ohne Hilfe, so mein Wunschdenken.

Wenn ich jetzt zurückdenke, war Jules Abgang eigentlich typisch für sie. Kurz und knackig, ohne langes Hin und Her. Inzwischen kann ich auch dankbar sein, dass ihr und damit auch mir ein langer Leidensweg  erspart geblieben ist. Ich bin dankbar für die Jahre mit Jule und für das, was ich durch sie und von ihr über Hunde gelernt habe.

Und doch fehlt sie mir unsagbar und es vergeht kein Tag ohne Erinnerung.

In der Vergangenheit ist es passiert, dass ich  Wäller-Gesichter gesehen habe, die mich besonders ansprachen, sei es auf Fotos oder in Natura. Beim Nachforschen stellte sich fast immer heraus, dass es sich um Jule-Enkel oder Urenkel handelte. Es ist Jules Blick, der sich in meinem Kopf festgemeißelt hat. Diese samtigen Augen, die blitzen und leuchten und gleichermaßen beruhigen können. Diesen Blick hat sie so manchem Nachkommen mitgegeben. Ich werde sie nie vergessen.

 

In dankbarer, ewiger Erinnerung an Jule (Donna von der Villa Kunterbunt)

 

Katrin

Jule